Vor ein paar Wochen hatte ich bereits einen Artikel über Trance als Bewusstseinszustand geschrieben. In dem heutigen Blogbeitrag möchte ich jetzt darauf eingehen, ein paar besondere Phänomene, die nur in diesem Zustand auftreten zu beschreiben. Diese Phänomene stellen für uns Therapeuten wunderbare Möglichkeiten dar, über maßgeschneiderte Techniken positive Veränderungen für den Patienten erreichen zu können. Insofern sollte sich in meinen Augen jeder Hypnosetherapeut mit diesen Phänomenen auseinander setzen und sie verstehen lernen.
Die Phänomene, die ich im folgenden vorstellen möchte, gliedern sich in fünf Teilbereiche auf, die ich gerne nacheinander beschreiben möchte:
- Kinästhetische Phänomene
- Sensorische Phänomene
- Veränderungen im Zeiterleben
- Veränderungen im Zugriff auf Gedächtnisinhalte
- Dissoziative Phänomene
1. Kinästhetische Phänomene
Kinästhesie bedeutet übersetzt so viel wie „Bewegungsempfindung“ und ist als Fähigkeit Bewegungen der Körperteile unbewusst zu kontrollieren und zu steuern definiert. In der Hypnosetherapie werden die meisten kinästhetischen Phänomene auch unter dem Begriff Ideomotorik beschrieben. Typische, in der Hypnosetherapie genutzte, kinästhetische Phänomene sind:
Katalepsie: Katalepsie kann am besten mit „Festhalten“ übersetzt werden. Der Begriff beschreibt einen Zustand, in dem aktiv oder passiv eingenommene Körperhaltungen übermäßig lange beibehalten werden. Wird zum Beispiel ein Bein passiv von der Unterlage abgehoben, bleibt dieses nach dem Loslassen in der Luft. In der Psychiatrie kennt man dieses Phänomen auch als Symptom bei Schizophrenie-Patienten.
Armlevitation:
Die Armlevitation ist eine Technik, bei welcher der Patient, durch Suggestionen des Therapeuten, langsam und unwillkürlich den Arm von der Unterlage erhebt und dieser für den Patienten zu „schweben“ beginnt. Diese Technik wird später unter Ideomotorik (s.S. XX) noch näher vorgestellt.
Fingersignale: Fingersignale sind ebenfalls ideomotorische Phänemone. Hier kann der Therapeut, oder auch der Patient direkt, Fragen an das Unbewusste stellen, welche dann mittels unwillkürlichen Fingerbewegungen beantwortet werden können. So könnte zum Beispiel der Zeigefinger der Ja-Finger sein und der kleine Finger der Nein-Finger.
2. Sensorische Phänomene
Zusätzliche Wahrnehmungen: Da in Trance nahezu reale Erfahrungen gemacht werden können, kommt es natürlich auch zu den zugehörigen Sinneswahrnehmungen. Ein Patient, der in Trance zu seinem Wohlfühlort geht, kann dort auch die Umgebung spüren, zum Beispiel die Sonne auf seinen Schultern, wenn er auf einer sonnigen Südseeinsel ist.
Ausgeblendete Wahrnehmungen: In Trance können auch reale Wahrnehmungen ausgeblendet werden, als ob sie nicht existieren würden. Hier gibt es eine ganz schöne Geschichte von Milton Erickson:
Als Erickson 17 Jahre alt war, hatte er einen sehr schweren Schub seiner Poliomyelitis (Kinderlähmung). Er war zu diesem Zeitpunkt größtenteils gelähmt. Eines Abends hörte er in seinem Bett, wie ein Arzt seiner Mutter sagte, dass er die Nacht nicht überleben würde. Dieser Satz des Arztes ärgerte ihn so sehr, dass er sich fest vornahm ihn eines Besseren zu belehren und diese eine Nacht irgendwie zu überleben. Er bat seine Mutter daher darum, einen Spiegel so an seinem Bett aufzustellen, dass er nach Osten aus dem Haus schauen und den Sonnenaufgang abwarten konnte. Erickson kämpfte die ganze Nacht mit Müdigkeit und Erschöpfung, aber er hatte für sich beschlossen, dass er unbedingt den Sonnenaufgang sehen musste, bevor er schlafen durfte. Als der Sonnenaufgang kam, sah Erickson einen strahlenden Sonnenaufgang, also genau das, worauf er die ganze Nacht gewartet hatte, was er sich die ganze Nacht vorgestellt hatte. Aber er war inzwischen in Trance und sah nur den Sonnenaufgang und nicht den Baum, der vor dem Fenster stand, den Felsblock an der einen Seite seines Blickfeldes, oder den Zaun, der auf der Wiese vor dem Fenster entlang verlief.
Weitere typische, in der Hypnosetherapie genutzte, sensorische Phänomene, die sich ebenfalls den ausgeblendeten Wahrnehmungen zuordnen lassen, sind Analgesie und Anästhesie. Hierbei wird durch Suggestionen in Trance eine Gefühllosigkeit in bestimmten Körperteilen, oder sogar im ganzen Körper induziert.
3. Veränderung im Zeiterleben
Zeitregression: Der Patient kann in der Zeit zurückreisen und wichtige Stationen seines Lebens noch einmal erleben. Hier können zum Beispiel wichtige Erfahrungen nachgeholt, Konflikte aufgelöst oder Ursachen für verschiedene Symptome entdeckt werden. Hierbei ist das Gefühl des Patienten für diese Zeit real und er fühlt sich in dem Moment wirklich in die Zeit zurückversetzt. Die Erinnerungen müssen dabei allerdings nicht der Wahrheit entsprechen. Man kann auf diese Weise also nicht herausfinden, ob eine Frau in ihrer Kindheit wirklich missbraucht worden ist, da diese Vergangenheit zwar sicherlich auf der Vergangenheit der Frau basiert, aber im Hier und Jetzt in der Trance konstruiert wird. Vor diesem Hintergrund sollte auch klar sein, dass Reisen in frühere Leben nicht in den Bereich der Hypnosetherapie, sondern eher in den Bereich der Esoterik gehören.
Zeitprogression: Auch eine Reise in eine mögliche Zukunft ist in Trance möglich. Eine schöne therapeutische Technik hierbei ist zum Beipsiel mit dem Patienten zu besprechen, wie seine Zukunft in sechs Monaten aussehen würde, wenn die Therapie so richtig erfolgreich wäre. Nach einen solchen Gespräch lohnt es sich eine kurze spontane Trance zu induzieren und den Patienten all diese positiven Veränderung in der Zukunft auch spüren zu lassen. So eine Trance führt zu einer starken Heilerwartung und wir wissen heute, dass die Erwartung der Heilung einer der wichtigsten Faktoren ist, der schlussendlich zur Heilung führen kann. Meiner Meinung nach ist sie sogar der mit Abstand wichtigste Faktor.
Zeitverzerrung: Patienten nehmen in Trance die Zeit nicht mehr real wahr. Wenn man nach einer 10-Minütigen Trance einen Patienten fragt, wie lange er glaubt, „weg“ gewesen zu sein, bekommt man Antworten zwischen einer Minute und mehreren Stunden. Wie weit die empfundene Zeit von der real vergangenen Zeit differiert, ist dabei abhängig von der Trancetiefe.
4. Veränderungen im Zugriff auf Gedächtnisinhalte
Verbesserung der Erinnerung: In Trance können Erinnerungen, die man für vergessen gehalten hatte, wieder gefunden und neu erlebt werden. Dies betrifft in erster Linie sehr emotionale Erlebnisse, wie zum Beispiel der Tag, an dem man Fahrrad fahren gelernt hat, oder der erste Schultag. Hier muss allerdings darauf geachtet werden, dass nicht jede Erinnerung auch wirklich passiert sein muss. Das Gehirn füllt Lücken in den realen Erinnerungen nämlich mit sinnvoll erscheinenden Inhalten auf, die im Hier und Jetzt produziert werden. Somit lässt sich diese Verbesserung der Erinnerung auch nur sehr eingeschränkt für forensische Zwecke nutzen.
Induziertes Vergessen: So wie man die Erinnerungsfähigkeit verbessern kann, kann man sie auch verschlechtern und eine partielle Amnesie hervorrufen. Bei Showhypnosen werden hochsuggestible Besucher zum Beispiel dazu gebracht einfache Zahlen oder sogar ihren Namen zu vergessen.
5. Dissoziative Phänomene
Last but not least gibt es noch eine Reihe von Phänomenen, bei denen Anteile der eigenen Psyche oder des eigenen Selbst auf verschiedene Arten verändert oder abgespalten werden können.
Bei Depersonalisationsphänomenen fühlt sich der Patient in Trance außerhalb seines eigenen Körpers oder in irgendeiner, meist positiven Art, von seinem Körper getrennt. Das kann zum Beispiel für Perspektivenwechsel sehr gut genutzt werden, oder um bei der Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen etwas mehr Distanz bekommen zu können.
Identitätsveränderungen, bei denen der Patient sich in andere Personen, Tiere oder sogar Dinge hineinversetzt, können für Rollenspiele, Perspektivenwechsel oder einfach zur Schulung der Empathie genutzt werden.
Das Aufspalten in verschiedene Persönlichkeitstypen, zum Beispiel den sensiblen Familienmenschen, den professionellen Menschen, das innere Kind, den Partyhengst, etc. hat zum Beispiel in der Ego-State-Therapie einen kompletten neuen Therapiezweig gefunden.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur dazu dienen einen Einblick zu bekommen, wie besonders der Bewusstseinszustand Trance ist und was für enorme Möglichkeiten uns das therapeutische Arbeiten in Trance bietet. Anders als viele meiner Kollegen, bin ich dabei nicht der Meinung, dass Hypnosetherapie ausschließlich in Trance stattfindet, da ich denke, dass die Hypnosetherapie zusätzlich ein hervorragendes Kommunikationsverfahren ist und sich ohne den Einsatz von Trance bereits sehr schöne Erfolge erreichen lassen. Hierzu möchte ich im Folgenden noch eine kurze Fallgeschichte von Milton Erickson vorstellen:
In einer Fallgeschichte berichtet Milton Erickson zu einem Tumorkranken gerufen worden zu sein, der weder etwas von Psychiatern hielt, noch bereit war, sich auf Hypnose einzulassen. Dieser Patient hieß Joe und war von Beruf Gärtner gewesen. Die Ehefrau von Joe hatte bereits viel von Ericksons Therapien gehört und bat ihn darum, ihrem Mann zu helfen ein wenig besser mit seinen Schmerzen zurecht zu kommen, die langsam immer stärker wurden. Da der Mann nicht dazu bereit war in Trance zu arbeiten, fragte Erickson ihn, ob es ok wäre, wenn sie sich einfach nur ein wenig unterhalten würden, wozu Joe einwilligte.
Erickson nutzte dabei die Interessen des Patienten und erzählte etwas über Tomatenpflanzen, die er in seinem Garten anbaute. Dabei beschrieb Erickson die Tomatenpflanzen immer wieder mit Attributen, die für Joe im Moment nützlich sein könnten, wie z.B. „Vielleicht könnte man sagen, die Tomatenpflanzen, sie fühlen sich wohl und voller Frieden… ich weiß nicht, ob man das so sagen könnte Joe, sie können wirklich eine Art von Wohlsein empfinden“.
Dies führte dazu, dass Joe unbewusst Ericksons Suggestionen aufnahm und sie als positive Gefühlsangebote annahm. Im Anschluss an die Sitzungen kam es bei Joe zu einer Verbesserung der Stimmungslage und zu einer Verminderung der Schmerzempfindung.
Die hier gezeigte Technik könnte auch als Seeding bezeichnet werden. Seeding nennt man das Sähen von Informationen, die vom Patienten unkritisch aufgenommen werden, da die Suggestionen, die dahinter stecken nicht als direktiv wahrgenommen werden. Die Technik des Seedings benutze ich bei nahezu jedem Akupunkturpatienten, den ich behandle, indem ich sehr ausführlich erkläre, wie die Akupunkturpunkte im Chinesischen heißen, Geschichten erzähle, wie die Namen entstanden sind und dem Patienten dann erzähle, was er „vielleicht“ spüren kann, wenn ich den Punkt jetzt steche und wie sich dann „vielleicht“ erste kleine Dinge in seinem Leben ändern werden. Seit ich meine ersten Akupunktursitzungen auf diese Art durchführe, sind meine Behandlungserfolge deutlich gestiegen.