Technik: Die zwei Stühle

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Nachdem ich letzte Woche im Rahmen der Hamburger Hypnotherapie Werkstatt die Technik "Die zwei Stühle" vorgestellt habe, möchte ich an dieser Stelle gerne die Anleitung zu der Technik mit euch teilen:

Die zwei Stühle

Die Idee zu der Technik kam mir nach einem Seminar in Systemischer Therapie. Das heißt jetzt nicht, dass ich diese Technik erfunden hätte, denn diese Idee hatten sicher schon Dutzende vor mir, aber ich habe sie mir irgendwie hergeleitet, als ich eine Patientin mit ihrem Alkohol konfrontieren wollte und mir dann die Frage stellte, was würde der Alkohol wohl zu der Frau zu sagen haben, wenn er sprechen könnte. Dazu aber mehr im Fallbeispiel nach dem Ablauf (s.u.).

Diese Technik dient in erster Linie dazu, dass der Patient in die Rolle von Menschen oder Dingen schlüpft, mit denen die Beziehung gestört ist. Durch dieses Rollenspiel entwickelt der Patient zum einen Empathie für sein Gegenüber und zum anderen wird die problematische Situation des Patienten aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet, was eine Menge Veränderungspotential bietet.

Ziel:

Durch einen Perspektivenwechsel hinein in einen Problemfaktor, sollen sich für den Patienten neue Wahrnehmungen und Veränderungsmöglichkeiten ergeben.

Ablauf:

Es werden zwei Stühle so zu einander gestellt, dass ein gutes Gespräch zwischen zwei Menschen, die auf diesen Stühlen sitzen würden, möglich wäre. Der Patient setzt sich auf einen Stuhl, der andere Stuhl bleibt frei. Anschließend wird der Patient in eine leichte Trance gebracht, indem auf eine Situation fokussiert wird, in welcher der Patient ein negatives Erlebnis mit einer Problemperson, oder einem Problemfaktor hatte. Dies könnte zum Beispiel der Chef sein oder die Kollegin, von der sich der Patient gemobbt fühlt. Auch Drogen, wie beispielsweise Alkohol oder Cannabis, eignen sich gut für diese Technik.

Sobald der Patient diese Situation vor Augen hat und die Emotionen und Körpersensationen gut spürbar sind, wird er gebeten, sich vorzustellen, dass sein Problem auf dem anderen Stuhl sitzt. Jetzt soll er ihm ganz offen und ehrlich zu sagen, was er von ihm denkt und wie es ihm mit ihm geht. All die Dinge, die unbedingt einmal ausgesprochen werden sollten, können jetzt auch ausgesprochen werden. Nachdem der Patient sich auf diese Weise so richtig Luft gemacht hat, wird er aus der Trance zurückgeholt und gebeten, sich jetzt auf den anderen Stuhl zu setzen.

Sobald er dort sitzt, darf er sich einmal erlauben, sich ganz in die andere Person oder in das Problem hineinzuversetzen. Mit allen Informationen, die er hat, oder die hilfreich sein könnten. Er soll einmal spüren, wie sich die Beziehung Patient-Problem von der anderen Seite her anfühlt und was für Emotionen der Patient in seinem Gegenüber auslöst. Hierfür ist natürlich zum einen eine gewisse Empathie des Patienten notwendig und zum anderen hilft es auch, wenn der Patient ein wenig kreativ und phantasievoll ist.

Im nächsten Schritt wird der Patient nämlich gebeten, sich in der Rolle des Problems, nachdem er sich mit diesem identifiziert und dessen "Emotionen" wahrgenommen hat, vorzustellen, dass ihm all die Dinge, die der Patient vorher in der Patientenrolle gesagt hat, vorgehalten werden. Er soll sich all dies anhören und einmal spüren, wie es ihm dabei geht, was sich da in ihm verändert und wo er sich vielleicht komplett missverstanden fühlt, oder vielleicht sogar richtiggehend wütend wird. Sobald er all dies wahrgenommen hat, darf er dem imaginären Patienten auf dem jetzt leeren Stuhl antworten und sich auf seine Art und Weise Luft machen.

Anschließend wird der Patient wieder aus der Trance zurückgeholt und darf sich nach einer kurzen Reorientierung wieder auf den ersten Stuhl setzen. Hier darf er die Antworten seines Problems Revue passieren lassen und dann wiederum dazu Stellung nehmen.

Theoretisch kann man diese Rollenwechsel eine ganze Therapiestunde über durchführen, aber meistens hat der Patient nach drei oder vier Wechseln so viele neue Informationen für sich aufgenommen, dass es ausreicht, um einen guten Veränderungsimpuls zu erzeugen. Man kann dann mit dem Patienten zum Ende der Stunde gemeinsam zusammenfassen, was sich denn durch das neue Wissen, welches er jetzt gewonnen hat, verändern könnte und wie sich das dann auf ihn und sein Problem auswirken wird.

Fallbeispiel:

Eine 55-jährige Alkoholikerin kam zum 18ten Mal zum Entzug in die Psychiatrische Klinik. Auf der Akutstation sagt sie, dass sie gerne wieder versuchen möchte, längerfristig vom Alkohol weg zu kommen, was sie allerdings seit 15 Jahren schon nicht mehr geschafft habe. Neben ihrer Suchtproblematik litt die Patientin unter einer Borderlinestörung und einem ADHS im Erwachsenenalter. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Suchttherapie waren also nicht gerade günstig. In der ersten Stunde, zum Kennenlernen, wurde mir bewusst, dass die Patientin ausgesprochen kreativ und gedanklich sehr "flexibel" war, also bat ich sie, sich einmal vorzustellen, dass auf dem Stuhl neben ihr der Alkohol sitzt und sie ihm einfach einmal sagen könnte, was sie ihm schon immer mal sagen wollte. Was folgte, war eine mundartliche Schweizer Schimpftirade, wie ich sie noch nie gehört hatte. Nach ein paar Minuten hatte sich die Patientin richtig Luft gemacht und sass ganz zufrieden auf ihrem Stuhl. Dann bat ich sie, den Stuhl zu wechseln und in die Rolle des Alkohols zu schlüpfen. Was jetzt folgte, war wirklich theaterreif. Mit einer ganz ruhigen und klaren hochdeutschen Stimme erklärte der Alkohol, dass er so eine Tirade ganz sicher nicht verdient hätte. Schließlich sei er immer da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hätte. Damals, als ihr Mann abgehauen war, war er für sie da. Als ihre Mutter sie rausgeschmissen hatte, war er für sie da. Als sie ihren Job verloren hatte und keiner mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte, war er für sie da. Als alle sie nur noch als Versagerin gesehen hatten, da war er da, um sie zu trösten, um ihr wenigstens ein paar Stunden zu schenken, wo sie sich nicht zu schämen brauchte. Der Alkohol war dabei sachlich, aber auch empathisch einfühlsam. Er schien kein Monster zu sein, sondern eher so etwas wie ein Freund. Im nächsten Wechsel enttarnte die Patientin dieses oberflächlich freundliche Monster allerdings und schrie ihn an, dass sie sich nicht mehr so leicht von ihm einwickeln lassen würde. So ging es noch zwei Mal hin und her, bis der Alkohol sagte, dass sie es ja gerne mal ohne ihn versuchen könnte, dabei aber ohnehin, wie jedes Mal, scheitern würde. Diese Herausforderung nahm die Patientin an. Sie war danach noch für vier Wochen auf der Station und nahm anschließend an einer Beschäftigungstherapie auf dem Gelände der Klinik teil, so dass ich sie immer mal wieder traf und mich mit ihr unterhielt. Sie war etwas über ein halbes Jahr trocken, bevor sie leider wieder rückfällig wurde. Sie war allerdings seit ihrer Jugend noch nie so lange ohne Alkohol ausgekommen und ich weiß, dass sie für die Dauer dieses halben Jahres sehr stolz auf ihren Sieg über den Alkohol war.


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